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Verdis „Don Carlos“: In Lyon ist neuerlich ein französisches Meisterwerk zu entdecken
...Wobei „triumphal“ eigentlich das falsche Wort ist angesichts von so viel Dunkelheit, einer schlichten, aber raffinierten Bühne, monochromen Kostümen und einer luzid dunklen Intimität, mit der sich so beweglich wie nachdrücklich die Musik verströmt. Letzteres ist das Verdienst des neuen Lyoner Musikchefs Daniele Rustioni, der sich längst als einer der jungen, führenden Dirigenten im italienischen Fach etabliert hat. Und der hier sehr genau auf die stilistischen Unterschiede achtet, die den französischen „Don Carlos“ in ein noch stärker nach innen gerichtetes Charakterdrama verwandeln, schon weil der Text so viel mehr Poesie und Wahrheit hat als die italienische Zweitfassung. Auch die Fortissimo-Ausbrüche bleiben gefasst, da donnert nichts, diese Meditation über Staat und Kirche, Privat- und Allgemeinwohl eine problematische Vater-Sohn-Beziehung, eine verratene Männerfreundschaft, über Eifersucht und verkorkste Mutterliebe wird umweht von trostloser Melancholie, selbst in den wenig freudig himmelstrebenden Momenten.
...Und Serge Dorny kann sich mit diesem „Don Carlos“, der zudem in ein Daniele Rustioni auf Trab haltendes Verdi-Festival mit einem wiederaufgenommenen „Macbeth“ und einem konzertanten „Attila“ eingebunden ist, im direkten Vergleich einmal mehr mit einem individuellen Ansatz gegen den ewigen Rivalen Paris behaupten.
Die Welt - Brugs Klassiker, Manuel Brug

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